Petra Leonie Pichler. Photo by helle Tage Fotografie
Petra Leonie Pichler. Photo by helle Tage Fotografie

EIN JAHR ALS REISENDE

Vor einem Jahr traf ich die Entscheidung mein kleines Zimmer in Auxburg aufzugeben. Hier ist eine kleiner Rückblick, was ich ind er Zeit gelernt, bzw. verlernt habe.

SEHNSUCHT
Bereits in den Jahren zuvor, war ich mehr und mehr unterwegs und hatte viele Jobs in ganz Deutschland und Dänemark. Das permanente Nichtdaheim sein wurde anstrengend und oft hatte ich mich nach meinem Zimmer gesehnt. Dieses Gefühl hat nun komplett aufgehört. Jetzt, da es kein Zuhause mehr gibt, bin ich eben dort daheim, wo ich gerade bin. Alles wird mir Zuhause, sei es für eine Nacht oder zwei Monate. Ein Hotel in Odense, der Bauwagen im Allgäu in dem ich das hier aufschreibe, eine Wohnung in Dänemark, ein Schlafabteil im Zug, ein Zelt in Kenia, eine Couch bei Freunden, eine Hütte in Norwegen, eine AirBnB-Wohnung in Lissabon usw.
Diese Orte bewohne ich mit viel mehr Präsenz und Hingabe. Oft kaufe ich mir Blumen für meine Zimmer und verschiebe nicht meine Energie und Liebe auf einen späteren Zeitpunkt. Die Welt ist mir Zuhause. Das Hier und jetzt ist mir zu Hause. Ich selber bin mir ein Zuhause, den…

2. KÖRPER
..noch mehr ist mir seit dem mein Körper zum Zuhause geworden. So wie andere ihre Wohnung bedenken, bedenke ich meinen Körper. Yoga, spazieren gehen, bewußte Ernährung, meditieren und schwimmen helfen mir dabei, mein Seelenzuhause zu pflegen. In Phasen von zu vielen Reisen wird das allerdings schwierig, weil mit geringerer Konzentration die bekannten Muster von Pommes, Bier und Zigarette sehr schnell da sind und sagen: ach kein Problem, wir lösen das schon und wenn nicht, dann machen wir die Sache eben erfreulicher. Das ist auch ok. Ich habe gelernt milder mit mir selber zu sein und dass muss ich auch, weil ich ..

3. WEITSICHT
.. Weitsicht fast verlernt habe. Das überrascht mich selber, weil ich mich selber nur als planend und vorausschauend kennengelernt habe. Ich hatte geradezu Probleme im Hier und Jetzt zu sein, weil mein Kopf immer schon den Weg abstecken wollte. Das aufzuschreiben wirkt bereits wie eine Erinnerung. Ich lasse die Dinge wesentlich freier auf mich zukommen. Manchmal weiß ich nicht wo ich abends schlafe, aber es ergibt sich immer etwas. Bisher hatte ich auch viel weniger Leerlauf als ich dachte. Zeit meinen Terminkalender etwas löchriger zu gestalten, damit noch mehr Wunder und Abenteuer passieren dürfen.

4. STORY
Was mir am besten gefällt sind die Gespräche mit Fremden. Jeder möchte mich gleich verortet wissen.
Wo wohnst du?
Nirgendwo.
Wie? Du musst doch..
Es ist herrlich befreiend außerhalb der Kategorien zu wohnen. Es freut mich, dass ich nochmal die Chance kreiert habe, eine ganz andere Geschichte über mich selber zu erzählen.

5. DANKBARKEIT
Ich glaube ich war noch nie so Dankbar wie im letzten Jahr. Es scheint mir, als sei ich ohne 4 Wände viel durchlässiger. Gleichzeitig habe ich auch tausend Gründe um Dankbar zu sein. Dankbar, wenn ein Auftraggeber meine Unterkunft und Reisekosten bezahlt. Dankbar, dass Bluespots von guten alten und neuen Menschen zusammengehalten wird. Dankbar, weil ich allein Dank Tandem Europe fünf Europareisen unternehmen durfte. Dankbar, weil meine Eltern mich unterstützen und meine Habseligkeiten unterstellen. Dankbar, wenn mich jemand bei sich wohnen lässt. Dankbar, weil meine Freunde mich frei lassen und willkommen heißen wenn ich zurück bin. Dankbar, für das knisternde Holz im Ofen und den Regen während ich das schreibe. Dankbar, weil alles zum Zuhause wird, wenn es keines mehr gibt.

6. HEIMWEH
Es ist tatsächlich zweimal dieses Jahr vorgekommen, dass ich einfach nur HEIM wollte und das war befremdlich. Einmal war ich nach acht Wochen Arbeitsreisen durch Dänemark, Berlin, Dänemark, Griechenland, Dänemark und Norwegen so müde und kaputt, dass ich keine Geduld und Liebe mehr in mir finden konnte, egal wie schön die Sonnenaufgänge um mich herum waren. Also buchte ich eher als gedacht einen sehr teuren Flug nach Stuttgart. Dort hat mich ein sehr guter Freund abgeholt und zu meinen Eltern gebracht. Ich lerne immer mehr, dass die Menschen mir Heimat sind, aber ab und zu geht nichts über ein echtes ZuHAUSe.

7. ZYKLEN
Zugegebener Maßen, bin ich auch etwas effektiver seit dem ich nur noch Reise. Ich bin flexibel, schnell, anpassungsfähig, kann überall arbeiten und ich bin vor Ort wirklich präsent. Das funktioniert allerdings nur auf Kosten meiner Erholung und deshalb würde ich gerne weniger Geschäftsreisen machen (90%) und mehr FUN FUN FUN. Die einzige die dafür verantwortlich ist, bin ich selber. Das ist also ein reminder to myself: Ich bin frei, ungebunden und habe wenig finanzielle Verpflichtungen, also darf ich es selber entscheiden wie viel ich arbeite. Ich arbeite nur sehr gerne. Vielleicht werde ich auch einfach wieder besser darauf achten, dass meine Schreibphasen und meine Regie- und Projektphasen besser getrennt sind. Fürs Schreiben brauche ich idealerweise komplette Ruhe und Abgeschiedenheit und zu oft im letzten Jahr habe ich Schreiben nebenbei getan. Noch Abends im Hotel oder im Zug. Dann fehlt mir mein regenerativen Seelenzeit und Verbindung zu meinem Selbst.

8. TAGEBUCH
Ich habe kaum mehr Zeit Tagebuch zu schreiben, weil sehr viel passiert. Es ist mir oft, als würde die innere Bewegung von der Äußeren ersetzt werden. Das empfinde ich als beängstigend. Die vielen Züge, Flüge, Busse, Räder, Hotels, Wohnungen, Planungen, Absprachen, Abrechnungen und Orientierungsversuche über google maps gehören zu der ernüchternden Seite des Reisens. Das möchte ich gerne wieder ändern und länger an einem Ort bleiben, als der Job geht, um noch Raum für kontemplative Phasen zu lassen. Wenn das Reisen mein Schreiben ersetzt, dann habe ich etwas falsch gemacht.

9. MEIN JAHR
Noch nie zuvor durfte in so vielen Ländern und Städten leben, arbeiten und sein wie im letzten Jahr. Sofia – Kenia – Aarhus – Berlin – Svendborg – Plansee – Köln – Portugal – Augsburg – Lissabon – Sand – Griechenland – Hannover – Kopenhagen – Norwegen – Odense – in den Bergen – München und Mailand in den nächsten Wochen usw. Ich empfinde es als ein großes Geschenk so viele Orte sehen und erleben zu dürfen. Noch mehr, da ich mit allen Orten auch Namen verbinde und ich kaum eine Berufsreise oder ReiseReise in dem letzten Jahr alleine unternommen habe. Freunde kamen zu Besuch, kamen mit oder waren schon dort. Wie schön ist das! Auch künstlerische gesehen war es ein tolles Jahr. Es sind zwei Gedichtbände entstanden, drei Theaterstücke, fünf neue Konzepte und ich dürfte das erste Mal unterrichten und Schriften zu meinem Wissen verfassen. Auch innerlich darf ich wachsen. So ziehen mich derzeit die Schamanischen Lehren in ihren Bann und ich besuche Seminare dazu und lese viele Bücher.

10. DAS UNBEKANNTE
Alles was ich gelernt habe, aber bisher noch gar nicht realisiert habe.

11. DIE ZUKUNFT
Eigentlich dachte ich, dass sich mein Lebensmittelpunkt zeigen würde, wenn ich die Karten neu mische, aber bisher schlägt das Pendel weiter aus. Die klarste Bewegung macht es zwischen Deutschland und Dänemark. Ich habe es nicht mehr eilig rauszufinden wo es mal stehen bleiben wird. Ich habe verschiedene Aufträge bis 2020 und noch ist kein fester Ankerpunkt in Sicht. Also lass ich es weiter laufen und bin selber gespannt, wann ich wieder sesshaft werde.

Leonie